Von der Freiheit zu glauben

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Navid Kermani mit dem protestantischen Hans-Ehrenberg-Preis geehrt

In einem Festakt in der Christuskirche Bochum hat die Evangelische Kirche am 31. Mai dem Kölner Schriftsteller und Essayisten Navid Kermani den Hans-Ehrenberg-Preis verliehen. „Man könnte meinen, kein anderer der bisherigen Preisträger ist in seiner Biografie auf den ersten Blick weiter von Hans Ehrenberg entfernt als Navid Kermani. Und kaum einer ist ihm näher – in Einstellung, Orientierung und Haltung“, so Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert in seiner Laudatio für „einen guten, lieben Freund.“

Kermani sei „ein frommer Mensch, der zugleich Aufklärer ist.“ Diese Aussage von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung, „hätte man ziemlich genauso auch über Hans Ehrenberg treffen können“, so Lammert. Kermanis Anliegen sei es, die Welt in ihrer Ambivalenz, ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Komplexität zu verstehen – „und es müsste eigentlich auch unseres sein.“

Präses Annette Kurschus – wie Navid Kermani in Siegen aufgewachsen – entwarf in ihrer Rede ein wechselseitiges Staunen. Sie bezog sich einerseits auf das – so der Titel des Buches – „ungläubige Staunen“ Kermanis über die spezifisch christliche Liebe, die keinen Unterschied mache und an der Christinnen und Christen zu erkennen seien – und ihr eigenes Staunen darüber, dass Christen von außen tatsächlich so gesehen würden: „Ich will über Ihr Staunen staunen“, so Kurschus, „ich will es glauben und mich davon beflügeln und in die Verantwortung nehmen lassen. Ja, an der Liebe will ich erkannt werden!“

Von einem besonderen Baum erzählte sie, der, behängt mit den Porträts und Namen von jungen iranischen Frauen und Männern, die gegen das Regime protestiert hatten und ermordet worden sind, in der Vorweihnachtszeit in einer westfälischen Stadt aufgestellt war. „Dieser Baum voller Gesichter und Namen ist mir in die Glieder gefahren. Während wir 'Christ ist geboren' singen, erinnern Menschen aus dem Iran an ihre Landsleute, die inhaftiert und gefoltert, erschossen und brutal hingerichtet wurden.“ Eben darin aber erkenne sie, was Christen eigentlich zu Weihnachten feierten: dass die Gewalt „um Gottes und der Menschen willen“ nicht das letzte Wort haben dürfe.  

Navid Kermani mit dem Preis zu ehren, der Hans Ehrenberg erinnert, heißt, die Kunst des dialogischen Denkens zu feiern. Eines mitfühlenden Denkens, jederzeit bereit, dem, der widerspricht, dasselbe Maß an Wahrheit zugute zu halten, das er für sich selber reklamiert, eben deshalb aber jederzeit bereit, gegenüber einem totalitären und fundamentalistischen Denken scharfe Grenzen zu ziehen – so heißt es in der Begründung der Findungskommission für die Ehrung Kermanis. Das Denken im Dialog, das den Widerspruch als kreativ empfindet, habe Navid Kermani mit Hans Ehrenberg gemein.

Im Gespräch mit Norbert Lammert und Prof. Dr. Traugott Jähnichen offenbarte Kermani, er tue sich etwas schwer mit dem Wort ‚Dialog‘. Gefragt, welche Chancen und Herausforderungen er sehe, wenn Menschen unterschiedlicher religiöser Einstellungen miteinander in den Dialog treten, sagte Kermani: „Dialog impliziert immer, einer sei hier und der andere dort. Menschen haben oft viel mehr gemeinsam als sie trenne. Konflikte, so Kermani, entstünden aber gerade dort, „wo man sich am ähnlichsten ist.“

Keine Sorgen mache er sich über die religiösen Institutionen, seien es die des Islams, des Christentums oder des Judentums, so Kermani. „Diese Institutionen sind ja ohnehin zeitgebunden. Vielleicht liegt darin eine Chance, wenn Institutionen an Macht verlieren, dass Menschen noch viel mehr, viel genauer wissen, warum sie einer Religion angehören, weil es keine Selbstverständlichkeit mehr ist, es vielleicht sogar eine mutige Entscheidung ist.“

Sorgen bereite ihm etwas anderes, nämlich, dass das Wissen wegbreche, was Religion überhaupt ist. „Denn wenn kein Wissen mehr da ist von den biblischen Geschichten, von dem, was Religion überhaupt ist, von all dem, was unsere Kultur ausmacht – gerade die deutsche Kultur ist ja zutiefst durchdrungen von religiösen Motiven, von biblischen Motiven – dann nehmen wir künftigen Generationen die Freiheit.“ Denn zur Freiheit zu glauben gehöre auch, dass man überhaupt erstmal wisse, was Glauben ist. „Wenn man es nicht weiß, nehmen wir künftigen Generationen die Freiheit, zwischen Glauben und Nichtglauben zu unterscheiden. Diese Chance, es zu tun oder nicht zu tun, die sollten wir unseren künftigen Generationen schon bieten.“

Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert, Präses Annette Kurschus (Evangelische Kirche von Westfalen), Superintendent Gerald Hagmann (Evangelische Kirche in Bochum) und Prof. Dr. Traugott Jähnichen (v.l.) verliehen Navid Kermani (mitte) bei einem Festakt in der Christuskirche Bochum den Hans-Ehrenberg-Preis.

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