"Man lässt keine Menschen ertrinken"

Erstellt am 10.08.2020

18 Meter lang, vier Meter breit, Transportraum für 120 Personen. Ein Flüchtlingsboot aus Libyen präsentierten die Ausstellungsmacher vor dem LutherLAB, der entwidmeten Lutherkirche in Langendreer. Fotos: Fritz-Wicho Herrmann-Kümper

Ausstellung "Retten statt Reden – Zivile Seenotrettung an Europas Grenzen" im LutherLAB in Langendreer

Menschen in (See)Not helfen wir. Diese Haltung unterstrich Schirmherr Superintendent Gerald Hagmann bei der Ausstellungseröffnung im LutherLAB.

 

Es sollte etwas völlig Selbstverständliches sein, Mitmenschen in Not zu helfen. Und das egal ob aus christlicher Nächstenliebe oder aus Achtung vor der Würde des Menschen. Diesen Tenor hatten alle Beiträge, die die Eröffnung der Ausstellung „Retten statt Reden – Zivile Seenotrettung an Europas Grenzen“ begleiteten. Zu sehen ist sie bis Sonntag, 30. August, im LutherLAB (vormals Lutherkirche-Langendreer, Alte Bahnhofstraße 166).

Über 15 Veranstaltungen – in der Kirche aber auch im KulturBahnhof Langendreer, im Kino Endstation und im Naturfreundezentrum - begleiten das Unterfangen, das Fotos von der Rettungsarbeit des Schiffs „Sea-Watch 3“ zeigt. Das „Netzwerk Flüchtlinge Langendreer“ organisierte sie zum fünfjährigen Jubiläum ihrer Arbeit. Superintendent Gerald Hagmann von der Evangelischen Kirche in Bochum übernahm die Schirmherrschaft.

Sibylle Leipold vom „Netzwerk Flüchtlinge Langendreer“ eröffnete die Ausstellung. „Ich verspüre Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wut bei Nachrichten zu Flüchtlingen, die auf ihrem Weg über das Mittelmeer verunglücken oder auch sterben“, erklärt sie. Die Ärztin erinnerte dazu an Bilder zu dem zweijährigen Kind, das Sea-Watch-Helfer Martin Kolek tot aus dem Meer barg – Er kommt zur letzten Veranstaltung am Sonntag, 30. August. Außerdem an Kapitänin Carola Rackete von „Sea-Watch 3“, die nach langem Warten auf eine Genehmigung der italienischen Behörden, trotz Verbots den Hafen der Insel Lampedusa zur Versorgung der Geflüchteten an Bord anlief. Ihr Fazit: „Diesen negativen Gefühlen wollen wir hier durch die Ausstellung sowie den Veranstaltungen Informationen, Netzwerkarbeit sowie Kraft zum Handeln entgegensetzen.“

Schirmherr Superintendent Hagmann freute sich, dass es dem Netzwerk gelungen ist, die schwer zu bekommende Ausstellung zu zeigen. „Sie will ein Zeichen setzen. Sie fordert zur Hilfe, zur Solidarität, zur Unterstützung auf und damit Haltung anzunehmen. Sie kann Menschen nicht unberührt lassen“, betonte er.

Die kirchliche Haltung zu dieser Seenotrettung positionierte er eindeutig. Und dies gegen den politischen Willen der Anrainerstaaten sowie der EU. „Man lässt keine Menschen ertrinken“, betonte er. Diese Aussage vom Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentages in Dortmund im vergangenen Jahr sei noch aktuell, erinnerte er.

Die Evangelische Kirche von Deutschland (EKD) unterstütze zudem diese Seenotrettung, indem sie die Gründung des Bündnis „United4Rescue“ für die aktuell startende Rettungsmission von „Sea Watch 4“ maßgeblich fördert. Hagmann: „Unser Ratsvorsitzender Landesbischof Heinrich Bedford Strohm sammelte dafür unter großem persönlichen Einsatz Spenden, obwohl das in den eigenen Reihen nicht unumstritten war.“

Die Ausstellung präsentiert ein Wechselbad der Gefühle. 18 großformatige Fotos aus 2019 zeigen zwar eine gelingende Aktion des Rettungsschiffs „Sea Watch 3“, indem Flüchtlinge aus Schlauchbooten sowie - angezogen mit Rettungswesten - aus dem Wasser geborgen werden. Ein riesiges Transparent (etwa 10 mal 4 Meter) mit der Forderung „Jeden Menschen aus Seenot retten!“ dokumentiert jedoch, dass viele nicht so viel Glück haben. Zwischen 1998 und 2019 starben 35.597 Menschen bei ihrer Flucht übers Mittelmeer. Hohe Dunkelziffer inklusive.

Anziehungspunkt zum Auftakt war vor der Kirche ein 18 Meter langes und 4 Meter breites Schlauchboot für 120 Personen. Mit solchen "Nussschalen" begeben sich Flüchtlinge auf die gefährliche Reise übers Meer. Die Ausstellungsmacher fanden es vor der libyschen Küste.

Flüchtling Ahamadou Diallo (Guinea) ging aus persönlichem Erleben auf diese waghalsige Bootsflucht ein. „In das Schlauchboot, mit dem ich über das Mittelmeer nach Europa gekommen bin, passten nur 30 Leute. Einer starb auf der Überfahrt“, erzählte er sichtlich bedrückt.

Nachdenklich sind auch die Besucherinnen und Besucher. „Diese Fotos beeindrucken mich mehr als die vielen Bilder, die ich dazu schon in den Nachrichten gesehen habe. Sie sprechen mich intensiv an“, sagte Gesa Born (27). Seniorin Hedda Niemeyer meint vor dem Transparent: „Es ist mir unbegreiflich, dass jemand etwas gegen diese Rettungen haben kann.“

Das „Netzwerk Flüchtlinge Langendreer“ startete im August 2015. „Über 1.000 Geflüchtete hatten wir damals im Stadtbezirk Ost. Mit zeitweilig über 80 Helfern lebten wir eine tolle Willkommenskultur, auf die wir stolz sein können“, erinnerte Bezirksbürgermeisterin Andrea Busche in ihrem Grußwort. Sibylle Leipold gründete damals das Langendreerer Flüchtlingscafé im Gemeindehaus der evangelischen Ortsgemeinde. Diese unterstützt das Café bis heute. Unter Pandemie-Bedingungen fand es seit März nicht mehr statt. Leipold: „Wir wollen bald wieder starten.“

Fritz-Wicho Herrmann-Kümper


Die Ausstellung „Retten statt Reden“ im LutherLAB (Alte Bahnhofstraße 166) öffnet dienstags (10-17 Uhr), donnerstags (10–18 Uhr) sowie samstags/sonntags (jeweils 11–18 Uhr) die Türen. An jedem Öffnungstag wird der Dokumentarfilm „Sea-Watch – Rettung in letzter Sekunde“ gezeigt. Alle Veranstaltungen sind eintrittsfrei unter Corona-Bedingungen. Um Spenden wird gebeten. Den Flyer zum Ausstellungsprogramm gibt es unter netzwerk-langendreer.de.