Gemeinde in Harpen feiert ersten "Vergiss-mein-nicht"-Gottesdienst

Erstellt am 09.12.2019

"Menschen mit Demenz nicht vergessen", sagt Gemeinde-Diakonin Inga Schulze-Steinen

Bekannte Adventssymbolik und Erfahrungswelt: Diakonin Inga Schulze-Steinen zündet Kerzen am Adventskranz an. Foto: Fritz-Wicho Herrmann-Kümper

 

Am 2. Advent startete der erste "Vergiss-mein-nicht" Gemeindegottesdienst an der St. Vinzentiuskirche der evangelischen Kirchengemeinde Harpen. Motto: "Mache Dich Auf"! Er richtete sich an Menschen mit und ohne Demenz. Gemeinde-Diakonin Inga Schulze-Steinen gestaltete ihn mit der katholischen Hospizseelsorgerin Jutta Schneider sowie mit Dominik Hassa von der Diakonischen Senioren- und Generationenarbeit. Fritz-Wicho Herrmann-Kümper mit Inga Schulze-Steinen über das neue Angebot.


Wie entstand die Idee zu dieser neuen Gottesdienstform?

Schulze-Steinen: Das Format "Vergiss-mein-nicht-Gottesdienst" wird seit vielen Jahren in der Stadtkirche in Lüneburg gefeiert und hat seinen Weg von dort auch in die westfälische Kirche gefunden.
Gottesdienste für Menschen mit Demenz zu feiern, ist an sich auch keine neue Idee. Dieser "Gottesdienst" versteht sich im Idealfall nicht als Gottesdienst für eine gesonderte Zielgruppe. Er gibt dem Sonntagsgottesdienst vielmehr ein Profil, bei dem sich auch Menschen mit Demenz gut aufgehoben fühlen können.

Was ist das besondere an dem Gottesdienst?

Schulze-Steinen: Diese Gottesdienste unterscheiden sich - wie gesagt - nicht grundsätzlich vom üblichen Sonntagsgottesdienst. Es ist einer für alle Gemeindeglieder, der Menschen mit dementiellen Veränderungen und deren Angehörige nicht gesondert hervorhebt. Wir ermutigen aber insbesondere diesen Personenkreis dazu, daran teilzunehmen. Zudem sollen die Barrieren, die verhindern, dass ältere Menschen mit Demenz zum Gottesdienst kommen, durch die besondere Einladung und Gestaltung möglich niedrig gehalten werden.

Beim Vergiss-mein-nicht Gottesdienst achten wir bewusst auf eine verständliche Sprache und einen vertrauten klaren Ablauf. Orgelmusik und altbekannte Kirchenlieder schaffen eine sichere Atmosphäre. Beim Singen ist die Grenze zwischen Menschen mit und ohne Demenz aufgehoben, der Gottesdienstbesuch wird zum gemeinsamen Erleben.

Im Unterschied zur Sonntagspredigt unterbricht hier ein Liedvers mehrmals den Verkündigsteil. „Gott erstaunt uns stets auf Neue, kommt zu uns zur Weihnachtszeit“ lautete der wiederkehrende Liedvers dieses Gottesdienstes. Er brachte die Kernaussage der Predigt in eine gesungene Kurzform. Um möglichst viele Sinne anzusprechen haben wir das Thema „Besuch“ zu Beginn auch optisch mit einem Rollenspiel in Szene gesetzt.

Ein weiteres Kennzeichen dieses Gottesdienstes ist, allen Besuchern etwas mit nach Hause zu geben. Unterstützt von einigen Frauen aus der Gemeinde erstellten wir eine Spruchkarte mit angehängter Weihnachtskugel. Diese kann als Zeichen der adventlichen Vorfreude zu Hause einen Platz finden und an den Gottesdienst erinnern.

Im Altenzentrum Rosenberg gab es bereits "Vergiss-mein-nicht" Gottesdienste. Warum macht es Sinn, diesen Gottesdienst auf die Gesamtgemeinde zu übertragen?

Schulze-Steinen: Im Altenzentrum werden regelmäßig katholische und evangelische Gottesdienste gefeiert, die in ihrer Gestaltung den Bedürfnissen von oft hochaltrigen, teils schwer pflegebedürftigen Menschen entgegenkommen.

Eine dementielle Erkrankung verläuft in verschiedenen Erscheinungsformen. Die meisten Betroffenen, besonders in frühen und mittleren Stadien, leben zu Hause und werden von Ehepartnern oder Kindern betreut. Mit der Erkrankung geht häufig der soziale Rückzug einher. Aus Überforderung oder auch aus Scham liegen Mitgliedschaften in Vereinen oder Gruppen brach.

Dieses Phänomen ist auch in kirchlichen Bezügen nicht fremd. Der "Vergiss-mein-nicht-Gottesdienst" als Gemeindegottesdienst trägt dazu bei, Menschen mit Demenz, die im Wohnumfeld leben, einen Anknüpfungspunkt an kirchliches Leben zu ermöglichen. Als Kirchengemeinde wird uns das Anliegen, Menschen mit Demenz nicht zu vergessen und sensibel für ihre besondere Situation zu sein, weiterhin beschäftigen. Da unsere Gesellschaft immer älter wird und die Zahl dementieller Erkrankungen entsprechend steigt, bleibt auch zukünftig die Frage, wie wir auch Menschen mit Demenz in unserer gemeindlichen Mitte halten. Aufgrund des positiven Echo nach dem Gottesdienst, der vielen einfach gutgetan hat, wird es in 2010 sicher wieder einen 'Vergiss-mein-nicht Gottesdienst' geben.

Vielen Dank für das Gespräch!